Ulrike Guérot – Aussichten des Berufungsverfahrens
Der Fall Ulrike Guérot: Urteil des Arbeitsgerichts Bonn nach Kündigungsschutzklage in der Kritik
Im Zentrum eines medial Aufsehen erregenden arbeitsgerichtlichen Verfahrens steht die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot, der die Universität Bonn fristlos kündigte. Der Vorwurf: Plagiate in einer Publikation, die sie im Rahmen ihres Bewerbungsverfahrens für ihre Professur, im Berufungsverfahren, eingereicht hatte. Das Arbeitsgericht Bonn hielt die Kündigung für rechtmäßig – doch ein genauer Blick auf die Urteilsbegründung wirft erhebliche juristische Fragen auf.
Plagiatsvorwurf: Hat Guérot wissenschaftliche Standards verletzt?
Kern des Kündigungsvorwurfs war eine Buchveröffentlichung Guérots, in der Textpassagen ohne korrekte Quellenangaben übernommen wurden. Das Gericht sah darin eine „wissentliche Täuschung“ und folgte der Argumentation der Universität: Guérot habe durch die unzureichende Kenntlichmachung die wissenschaftliche Redlichkeit verletzt – eine wesentliche Grundlage ihres Arbeitsverhältnisses als Professorin.
Dabei ließ das Gericht jedoch keine Differenzierung zu, ob es sich um vorsätzliche Täuschung oder um Flüchtigkeitsfehler unter Zeitdruck handelte. Das Buch sei, so Guérot, „nicht als wissenschaftliches Werk“ geplant gewesen, sondern unter hohem Publikationsdruck entstanden – eine Erklärung, die das Gericht als unerheblich einstufte.
Fragwürdige Anforderungen an Offenlegungspflichten
Das Gericht vertrat die Auffassung, Guérot habe von sich aus offenlegen müssen, dass ihr Buch Plagiate enthalte und wissenschaftlich nicht einwandfrei sei – selbst wenn es im Bewerbungsprozess nicht als wissenschaftliche Qualifikationsschrift gedacht war. Diese Interpretation geht mir zu weit: Es scheint, als ob Bewerberinnen und Bewerber künftig präventiv auf etwaige Mängel ihrer Unterlagen hinweisen müssten, auch wenn diese nicht explizit als Qualifikationsnachweis angefordert wurden. Für mich kommt dies einer Erwartung gleich, dass Bewerber ihre eigenen Leistungen in Zweifel ziehen sollen, obwohl die Universität in ihrer Ausschreibung gar nicht eindeutig festgelegt hatte, dass ein wissenschaftliches Werk Voraussetzung für die Berufung ist.
Arbeitsrechtlich gilt grundsätzlich: Wenn ein Bewerber dem Arbeitgeber ein bereits veröffentlichtes Buch als Referenz einreicht, muss dies nicht automatisch den Maßstab einer wissenschaftlichen Qualifikationsschrift erfüllen. Auch liegt die Verantwortung für die Bewertung und Einordnung der eingereichten Unterlagen beim Arbeitgeber. Wenn es Hinweise auf Mängel gab, diese aber im Berufungsverfahren nicht berücksichtigt wurden, kann dies später nicht zu Lasten des Arbeitnehmers gewertet werden.
Die Rolle des Arbeitgebers: Selektionsversagen?
Ein zentrales Argument gegen das Urteil lautet daher: Der Arbeitgeber hatte bereits im Berufungsverfahren Hinweise auf wissenschaftliche Mängel erhalten – etwa durch einen Gutachter, der die Arbeit als „oberflächlich“ einstufte. Dennoch wurde Guérot berufen! Daraus folgt für mich: Wenn dem Arbeitgeber die wissenschaftliche Qualität bei diesem Werk nicht entscheidend erschien, kann sie später nicht als Kündigungsgrund herangezogen werden. Der Arbeitgeber trägt nämlich grundsätzlich die Verantwortung für fehlerhafte Auswahlentscheidungen – das Kündigungsrecht schützt ihn nicht vor eigenen Versäumnissen.
Verhältnismäßigkeit: Ist die Kündigung gerechtfertigt?
Obwohl die fraglichen Passagen weniger als zwei Prozent des gesamten Buches ausmachen, hielt das Gericht die fristlose Kündigung für verhältnismäßig – selbst ohne vorherige Abmahnung. Die Begründung: Bei einer Professorin stehe die wissenschaftliche Redlichkeit im Vordergrund. Aspekte wie Guérots Alter (59 Jahre) und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt stuften die Arbeitsrichter als nachrangig ein.
Auch verfahrensrechtliche Fragen – etwa zur Besetzung der Untersuchungskommission oder zur Beteiligung des Personalrats – wurden vom Gericht verworfen. Denn laut nordrhein-westfälischem Landespersonalvertretungsgesetz gelten Hochschullehrende nicht als Beschäftigte im Sinne der Mitbestimmung. Auch dies wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie ist der Rechtsschutz von Professorinnen und Professoren zu bewerten, wenn sie arbeitsrechtlich zwar Arbeitnehmerstatus haben, zugleich aber nicht unter die betriebliche Mitbestimmung fallen?
Ausblick: Wie geht es weiter?
Die Berufung vor dem Landesarbeitsgericht steht bevor. Meiner Einschätzung nach wird das Urteil in seiner jetzigen Form keinen Bestand haben. Zwar ist die Entscheidung des Gerichts juristisch nicht völlig abwegig, doch in der Gesamtschau rechtlich angreifbar – insbesondere wegen der Frage, ob Guérot tatsächlich zur Offenlegung potenzieller Plagiatsrisiken verpflichtet war. Voraussichtlich wird das Verfahren mit einem Abfindungsvergleich enden – es sei denn, beide Seiten, Ulrike Guérot und die Universität Bonn, beharren weiter auf einer öffentlichen Auseinandersetzung.