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Kein Verzicht auf Urlaubsansprüche – BAG Urteil | Fachanwalt für Arbeitsrecht Alexander Bredereck

10.06.2025
4min

Bundesarbeitsgericht stärkt Arbeitnehmerrechte: Kein Verzicht auf Mindesturlaubsansprüche durch gerichtlichen Vergleich im laufenden Arbeitsverhältnis zulässig

Mit Urteil vom 3. Juni 2025 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine bislang gängige Praxis im Arbeitsrecht grundlegend verändert. Die Richter entschieden, dass Arbeitnehmer während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht wirksam im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs auf ihren gesetzlichen Mindesturlaub verzichten können. Diese Entscheidung betrifft nicht nur laufende Verfahren, sondern hat auch erhebliche Auswirkungen auf zurückliegende Arbeitsverhältnisse und abgeschlossene Kündigungsschutzprozesse und die dort durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbarten und gerichtlich protokollierten Abfindungsvergleiche.

Hintergrund: Urlaubsverzicht durch Vergleich bislang weit verbreitet

In arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, insbesondere in Kündigungsschutzverfahren, war es bisher üblich, offene Urlaubsansprüche im Rahmen eines gerichtlich protokollierten Vergleichs als „in natura genommen“ zu erklären – selbst wenn objektiv feststand, dass der Urlaub faktisch gar nicht genommen wurde. Häufig betraf das Fälle, in denen Arbeitnehmer etwa wegen Krankheit durchgehend arbeitsunfähig waren, der Arbeitgeber aber dennoch eine Abgeltung vermeiden wollte.

Diese Praxis hatte finanzielle Vorteile: Wenn im gerichtlichen Vergleich der Eindruck entstand, der Urlaub sei bereits genommen worden, konnte eine Auszahlung von Urlaubsansprüchen umgangen und gleichzeitig die ausgehandelte Abfindung sozialabgabenfrei gestaltet werden. Für beide Seiten – Arbeitnehmer und Arbeitgeber – war das wirtschaftlich attraktiv, wenn auch arbeitsrechtlich zunehmend umstritten.

Die Entscheidung des BAG: Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs hat Vorrang

Das BAG erteilte dieser Praxis nun eine klare Absage. In seiner Entscheidung stellte das Gericht fest, dass der gesetzliche Mindesturlaub gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) unabdingbar ist. Ein gerichtlicher Vergleich, der auf einen Verzicht auf diesen Mindesturlaub hinausläuft, verstößt gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – und ist damit nichtig.

Konkret heißt das: Auch wenn ein Arbeitsgericht den Vergleich billigt beziehungsweise einvernehmlich protokolliert, kann der gesetzliche Mindesturlaub nicht durch eine bloße Feststellung im Vergleichsprotokoll „erledigt“ werden. Die Rechte aus dem Mindesturlaubsanspruch bleiben bestehen, sofern sie nicht tatsächlich durch Urlaubsgewährung erfüllt wurden.

Konsequenzen für die Praxis: Rückwirkende Geltendmachung möglich

Für Arbeitnehmer bietet das Urteil erhebliche Chancen: Wer in der Vergangenheit im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs auf Urlaub verzichtet hat, etwa wegen Krankheit oder weil er sich auf eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses eingelassen hat, kann unter Umständen noch heute Urlaubsansprüche geltend machen – rückwirkend und unter Berufung auf die Unwirksamkeit des damaligen Verzichts.

Wichtig ist dabei allerdings die Verjährung: Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung der Bundesrepublik beginnt die Verjährungsfrist von drei Jahren in vielen Fällen erst dann zu laufen, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweispflichten zum Urlaub ordnungsgemäß nachgekommen ist. Für das Jahr 2022 könnten damit Urlaubsansprüche unter Umständen sogar noch bis Ende 2025 geltend gemacht werden.

Was Arbeitgeber jetzt beachten müssen

Für Arbeitgeber bedeutet das Urteil ein erhebliches Risiko und zugleich eine Aufforderung zur Überprüfung interner Prozesse:

  • Vergleichsformulare und Standardklauseln sollten dringend überprüft und gegebenenfalls überarbeitet werden.
  • Hinweispflichten zum Urlaubsanspruch müssen im laufenden Arbeitsverhältnis aktiv erfüllt werden, etwa durch regelmäßige Information der Beschäftigten über offene Urlaubstage.
  • Rückstellungen für Urlaubsansprüche könnten aufgrund möglicher Nachforderungen steigen – insbesondere bei langzeiterkrankten Mitarbeitenden.

Empfehlungen für Arbeitnehmer

Arbeitnehmer, insbesondere solche mit längeren Krankheitszeiten oder aus älteren, bereits beendeten Arbeitsverhältnissen, sollten anwaltlich prüfen lassen, ob ein wirksamer Urlaubsverzicht tatsächlich vorliegt. In vielen Fällen besteht ein Anspruch auf nachträgliche Urlaubsabgeltung – selbst wenn dieser bereits vor Gericht vermeintlich „abgegolten“ wurde.

Ein starkes Signal für die Rechte von Beschäftigten

Mit dem Urteil stärkt das Bundesarbeitsgericht den Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs und stellt klar: Urlaubsansprüche sind keine bloße Verhandlungsmasse, sondern gesetzlich geschützte Rechte. Das Urteil sorgt für Klarheit, führt aber auch zu einem Paradigmenwechsel in der arbeitsrechtlichen Vergleichspraxis. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind gleichermaßen gefordert, ihre bisherigen Routinen zu überarbeiten und rechtlich auf den neuesten Stand zu bringen. Arbeitnehmer, die nachträglich Urlaubsansprüche geltend machen wollen, sollten sich vorab rechtlich beraten lassen und in Erfahrung bringen, ob und inwieweit sich ihre Ansprüche gerichtlich durchsetzen lassen.