Arbeitsrecht

Schmerzensgeld wegen Mobbing: Verwirkung?

06.03.2015
7min

Mobbing im Arbeitsverhältnis: Der Staat schützt seine Bürger nicht. Zur rechtlichen Situation von Mobbingopfern in Deutschland und Vorschläge für veränderte gesetzliche Regelungen zum besseren Schutz. Seit 14 Jahren vertrete ich Mobbingopfer gerichtlich. Die Ausgangssituation ist regelmäßig die gleiche. Die Arbeitnehmer, die meinen Beistand suchen, sind in der Regel zumindest psychisch geschädigt. An eine ernsthafte Fortführung des Arbeitsverhältnisses ist nicht zu denken. Ich muss dann auf folgende Situation in Deutschland hinweisen:

Rechtliche Möglichkeiten von Mobbingopfern in Deutschland:

Der Gesetzgeber in Deutschland schützt den Bestand von Arbeitsverhältnissen besser als die Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis. Das führt dazu, dass Arbeitgeber oft gar kein großes Interesse haben, Mobbing wirksam zu begegnen. Mobbingopfer sind in der Regel die Schwächeren und jedenfalls dann, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr sehen, als einen Anwalt aufzusuchen, betrieblich schon isoliert.

Der Gesetzgeber hält nun für Anwalt und Mandant völlig unzureichende Instrumente parat. Man kann Unterlassungsansprüche, Schadensersatzansprüche und Schmerzensgeldansprüche geltend machen. Spätestens wenn man das tut, ist man jedoch endgültig im betrieblichen „Off“ gelandet.

Wenn sich der Arbeitnehmer zu diesem folgenreichen Schritt entscheidet, sind die Prozessaussichten äußerst gering. Im besten Fall kündigt der Arbeitgeber seinerseits und man kann versuchen, im Rahmen einer Kündigungsschutzklage wenigstens eine Abfindung zu erreichen. Zunehmend beobachte ich jedoch Arbeitgeber, die der ganzen Sache recht abgebrüht begegnen oder sie sogar für ihre Zwecke ausnutzen. Dabei spielt auf Arbeitgeberseite gelegentlich folgende Überlegungen eine Rolle:

Wirtschaftlich ist es für Arbeitgeber günstiger, einen Arbeitnehmer „rauszumobben“, als ihm zu kündigen und eine Abfindung zu zahlen. „Rausmobben“ kostet nur sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Danach bekommt der Arbeitnehmer Krankengeld. Aus der Krankheit kehrt er in der Regel nicht zurück. Eine betriebsbedingte Kündigung kostet mindestens eine Abfindung von einem halben Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, häufig aber wesentlich mehr.

Der Umstand, dass die Mobbingopfer in der Regel ohnehin krank sind oder/und unter dem Generalverdacht stehen, irgendwie an der Situation zumindest mitschuldig zu sein, begründet regelmäßig ein geringes Interesse des Arbeitgebers, freiwillig Maßnahmen zum Schutz des Mobbingopfers zu ergreifen. Mit Ausnahme einiger öffentlicher oder einiger größerer Arbeitgeber der Privatwirtschaft bestehen kaum betriebsinterne Regelungen, die eine effektivere Verfolgung bzw. Bekämpfung des Mobbings möglich machen. Rechtliche oder gar strafrechtliche Sanktionen hat der Arbeitgeber bei Untätigkeit oder Ausnutzung der Lage regelmäßig nicht zu befürchten.

Von den beschriebenen Ausnahmen muss der anwaltliche Rat also regelmäßig wie folgt aussehen:

Regelmäßiger anwaltlicher Rat an Mobbingopfer:

Für die Vertretung von Mobbingopfern sind durch den Gesetzgeber keine effektiven Handhabungsmöglichkeiten vorgesehen. Dem Anwalt fehlt schlichtweg das Handwerkszeug. Wenn man den Rechtsweg beschreiten will, ist Folgendes relativ sicher:

Sie werden sehr viel Arbeit haben (Mobbingprotokoll führen, bzw. nachträglich aus dem Gedächtnis erstellen).
Sie werden Partei in einem Prozess sein, der wahrscheinlich wegen des Themas an sich, jedenfalls aber wegen der damit verbundenen, für arbeitsgerichtliche Verhältnisse ungewöhnlichen, Papierflut nervend für alle Beteiligten ist. Die damit befassten Richter werden, von Ausnahmefällen abgesehen, versuchen, das Problem über die Darlegungslast zu lösen (siehe unten).
Es werden Kosten entstehen, auf denen Sie vermutlich sitzenbleiben. Ohne Rechtsschutzversicherung kann das sehr teuer werden.
Die Aussichten, effektiv etwas zu erreichen, sind äußerst gering. Sowohl die allgemeinen als auch unsere Erfolgsstatistik ist katastrophal. Damit meine ich sowieso nur aufgrund der derzeitigen Rechtslage als Mobbing einzuordnende und gut darzulegende und notfalls auch zu beweisende Fälle. Alle anderen vertreten wir gar nicht erst.
Im günstigsten Fall wird das Ergebnis vermutlich Folgendes sein: Das Arbeitsverhältnis wird gegen Zahlung einer (meist recht geringen) Abfindung aufgelöst.
Wahrscheinlichster Prozessverlauf ohne eine Einigung: Das Gericht wird die geltend gemachten Ansprüche aus einem der folgenden Gründe abweisen:

Sie haben Ihrer Darlegungslast nicht genügt (das Mobbingprotokoll ist nicht ausreichend).
Es handelt sich überhaupt nicht um Mobbing, sondern um normale Arbeitsplatzkonflikte, die sich einer rechtlichen Beurteilung durch Gerichte entziehen.
Ihre Ansprüche können zwar im Grunde gegeben sein, Sie können sie allerdings nicht beweisen.
Was spricht für ein Vorgehen, was dagegen?

Aus meiner empirischen Beobachtung sollte der, der sich nach entsprechender psychologischer Beratung für ein anwaltliches Vorgehen entschließt, dieses auch durchziehen. Es hilft dabei, das Problem besser zu verarbeiten. Der Nachteil ist allerdings, dass die Erfahrung vor Gericht und die gefühlte Hilflosigkeit sowie die de facto bestehende Rechtlosigkeit Ohnmachtsgefühle sogar noch verstärken und die Opferrolle vertiefen können.

Fazit zur rechtlichen Situation von Mobbingopfern in Deutschland:

Der rechtliche Schutz von Mobbingopfern in Deutschland ist dermaßen uneffektiv, dass er in der Praxis quasi nicht besteht. Wenn dem potentiellen Opfer noch geholfen werden könnte, kann das Mobbing nicht den überhöhten Anforderungen der Gerichte entsprechend dargelegt werden. Gelingt das gerade noch, scheitert die Durchsetzung dann regelmäßig an der mangelnden Beweisbarkeit der Vorwürfe. Ist der Arbeitnehmer erst zum Opfer geworden, also krank, könnte der Rechtsweg zwar etwas erfolgversprechender beschritten werden. Doch gehört es zum Krankheitsbild, dass das Opfer hierzu dann nicht mehr in der Lage ist. Psychologen raten sogar von einer Einschaltung des Anwalts bzw. dem Einleiten von rechtlichen Schritten ab. Ein Rechtsweg, der in der Praxis nicht effektiv beschritten werden kann, ist de facto nicht eröffnet. Von dieser Tatsache lenken wenige spektakuläre und nicht auf der sonstigen Linie der Rechtsprechung liegende Urteile ab.

Forderungen:

Klare gesetzliche Definition von Mobbing
Installation eines festen betrieblichen/außerbetrieblichen Ansprechpartners mit entsprechender psychologischer und juristischer Ausbildung mit dem Ziel, Mobbing bereits präventiv bzw. im Entstehungsstadium zu bekämpfen. Der Mobbingschutzbeauftragte muss einen gewissen Kündigungsschutz bekommen, um interessenunabhängig agieren zu können. Die Regelung könnte analog den Regelungen zum Datenschutzbeauftragten erfolgen.
Gesetzlich vorgegebener Ablauf nach Mobbinganzeige und gesetzliche Sanktionen bei Verstößen des Arbeitgebers, zum Beispiel Auflösungsantrag mit Abfindungsfolge analog § 9 KSchG bei Untätigkeit des Arbeitgebers, sowie Beweislastumkehr und pauschalierter Mindestschadensersatz analog den Regelungen im AGG.
Was steht einer Umsetzung im Wege?

Mir ist nicht klar, ob der Gesetzgeber schläft, also das Problem nicht sieht oder aber das Problem erkennt, aber wegsieht.

Letzteres könnte folgende Gründe haben:

Die Materie wird immer wieder als sehr komplex dargestellt und ist einer Regelung quasi nicht zugänglich. Bestimmte Argumentationen von an sich wohlmeinenden Wissenschaftlern bestärken diesen Eindruck. Wenn zum Beispiel von Mobbing als einem sozialen Problem die Rede ist bzw. Täter- und Opferrollen relativiert werden, verstellt dies den Blick auf die eigentliche arbeitsrechtliche Problematik.
Der Gesetzgeber ist der Auffassung, den Arbeitgebern mit den Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes bereits genug zugemutet zu haben.
Warum ist eine Schaffung klarer gesetzlicher Rechtsgrundlagen für die Bekämpfung von Mobbing zwingend notwendig?

Der Staat ist im Rahmen des Justizgewährungsanspruchs verpflichtet, seine Bürger zu schützen. Dabei darf das Recht nicht lediglich auf dem Papier bestehen, sondern es muss auch effektiv vor Gericht durchsetzbar sein. Allein die Tatsache, dass jemand psychisch in der Lage ist, den in Deutschland vorgesehenen Schutz für Mobbingopfer wahrzunehmen, spricht dagegen, dass es sich um ein echtes Mobbingopfer handelt. Echte Mobbingopfer sind den mit einer Rechtsverfolgung einhergehenden Belastung in der Regel überhaupt nicht gewachsen. Arbeitsrechtlern sind Mobbingopfer in der Regel ein Graus: „Nervt und bringt eh nichts“.
Der Staat ist verpflichtet, finanzielle Ressourcen zu schonen. Die Mobbingopfer gehen dem Arbeitsmarkt zum weitaus überwiegenden Teil dauerhaft verloren. Mobbingopfer werden irgendwann krank und verschwinden ebenso geräuschlos wie dauerhaft vom Arbeitsmarkt in die sozialen Sicherungssysteme. Der volkswirtschaftliche Schaden ist enorm. Wirklich überzeugende Statistiken zu den entstehenden Schäden sind mir bislang nicht bekannt. Aus Beobachtungen in meiner vierzehnjährigen Praxis gelegentlicher Vertretung von Mobbingopfern und ihrem weiteren Arbeitsschicksal vermute ich allerdings, dass die Schäden enorm sind. Viele Betroffene finden aus der Mobbingopferrolle ihr Leben lang nicht mehr heraus und in den Arbeitsmarkt nicht mehr hinein.
Die Ottawa-Charta der WHO vom 21.11.1986 zur Gesundheitsförderung und insbesondere auch die Präambel der „Luxemburger Deklaration zur betrieblichen Gesundheitsförderung in der Europäische Union“ von 1997 zielen auf eine aktive betriebliche Gesundheitsförderung. Prävention statt Reparation ist das Gebot. Eine auch nur ansatzweise Verwirklichung steht bislang aus.